Selbstfürsorge
I can buy myself flowers Write my name in the sand Talk to myself for hours Say things you don't understand I can take myself dancing And I can hold my own hand
Miley Cyrus, Flowers
“Flowers” ist ein riesiger Hit für Miley Cyrus. Sie scheint nicht nur musikalisch, sondern auch von der Aussage her den Nerv der Zeit getroffen zu haben. "Flowers" ist vor allem eins: Eine Selflove-Hymne. “Ich kann mir selbst Gutes tun, mir selber Blumen schenken, mit mir selbst stundenlang reden, mich zum Tanzen bringen und meine eigene Hand halten”.
Bis heute gibt es mehr als 40 Millionen Beiträge auf Instagram, die mit #selfcare getaggt sind. Was einst eine radikale Idee war, ist heute Mainstream. Das Problem ist, dass wir so sehr mit der von den Medien erzeugten Vorstellung von "Zeit für mich" gesättigt sind, dass es leicht ist, Selbstfürsorge als eine Kombination aus konsumistischer Modeerscheinung und ungesunder Selbstbesessenheit misszuverstehen. In Wirklichkeit hat der Begriff der Selbstfürsorge jedoch tiefere Wurzeln.
Wie kann ich auf andere achten, wenn ich nicht auf mich selbst achte?
"Selbstfürsorge ist keine Nachsicht mit sich selbst. Es ist Selbsterhaltung und ein Akt des politischen Kampfes", formulierte die amerikanische Feministin Audre Lorde bereits 1988.
Die Begriffe Selbstfürsorge, Self-Care und Selbstmitgefühl klingen nach moderner Selbstoptimierung, Ratgeberliteratur und Wellnessindustrie. Aber das Konzept ist letztendlich “uralt”. Es fing spätestens mit dem griechischen Philosophen Sokrates vor etwa 2500 Jahren an. Und das hatte wohl noch gar nichts mit der Kosmetik- und Wellness-Industrie zu tun.
Platon schreibt, Sokrates habe die Bürger Athens dadurch verärgert, indem er sie bei jeder Gelegenheit dazu aufforderte: Kümmere dich um deine Seele (epimeleia tes psyches) anstatt um mehr Reichtum, Ansehen und Macht.
Die „Kultivierung seiner selbst“ gilt als philosophischer Imperativ der Antike. Sie umfasst Maßnahmen, die auf die physische und psychische Gesundheit des Menschen abzielen: Körperpflege, körperliche Ertüchtigung, Bedürfnisbefriedigung, geistige Aktivität, intellektuelle Reflexion, kritische Selbstprüfung und soziale Interaktion. Manche sagen: Aus diesem Ansatz entwickelte sich die europäische Kultur.
Selbstfürsorge kann auf verschiedene Weise praktiziert werden, zum Beispiel durch regelmäßige Bewegung und Entspannung, durch das Pflegen von Beziehungen und durch die Auseinandersetzung mit unseren Gefühlen und Bedürfnissen.
Selbstmitgefühl bezieht sich auf die Fähigkeit, Verständnis und Mitgefühl für uns selbst zu empfinden, insbesondere in schwierigen oder stressigen Situationen. Im Gegensatz zu Selbstkritik und Schuldgefühlen setzt Selbstmitgefühl auf Wertschätzung und Akzeptanz und kann uns dabei helfen, schwierige Gefühle besser zu verstehen und zu verarbeiten.
Kristin Neff ist Wissenschaftlerin und hat die Idee des Selbstmitgefühls untersucht. Laut ihr geht es darum,
Selbstsorge, meint Neff, bedeutet, aufmerksam und liebevoll mit sich selbst umzugehen. Sie liegt in der Verantwortung, die wir gegenüber uns selbst haben.
Diese Auffassung findet sich auch im Programm Compass8 wieder. Es steht letztlich im Zusammenhang des christlichen Konzeptes des Mitgefühls. Dort wird Mitgefühl bezogen auf die Menschen, die einem nahestehen. Aber auch auf diejenigen, die einem unsympathisch sind. Auch ihnen gilt die Zuwendung Gottes, so erklärt es Jesu in der Bergpredigt. Und letztendlich gilt dieses Mitgefühl auch einem selbst. Warum sollte ich mich davon ausnehmen? Dafür gibt es keinen guten Grund, zumindest nicht im christlichen Konzept des Mitgefühls.
Ob man sich dann selber Blumen schenkt? Das muss nun jeder für sich entscheiden, ob man damit den Confident-Boost erreicht. Aber Selbstfür sorge kann guttun. Und ist sicherlich nicht das Schlechteste, um auch mit anderen Menschen verantwortungsvoll und mitfühlend umzugehen.
Quellen:
Neff, Kristin; Germer, Christopher K.; Helm, Nadine (2019): Selbstmitgefühl – Das Übungsbuch. Ein bewährter Weg zu Selbstakzeptanz, innerer Stärke und Freundschaft mit sich selbst. Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage.
Riep, Leonhard (2019): Die Dimension des Politischen in der Geistigkeit. Jan Patočkas "Sorge um die Seele" und Michel Foucaults "Sorge um sich". Nordhausen: Verlag Traugott Bautz GmbH (Libri virides, 38).
https://www.womankind.org.uk/self-care-feminist-political-radical/